Ein neues Kapitel
Tja, nun geht unsere Geschichte doch noch weiter! Nach Timos Tod steht Dagmars Entschluss felsenfest: Kein Haustier mehr! Keine Verantwortung, keine hohen (Tierarzt-)Kosten, keine Krankheiten, Flöhe und anderes Getier. Vor allem: Nie wieder die unausweichliche Entscheidung über Leben und Tod treffen müssen.
Anfangs läuft das Leben "ohne" auch recht gut an. Die Wohnung wird umgestaltet. Endlich Zeit, all die Dinge zu erledigen, die immer wieder aufgeschoben wurden. Endlich Muße zum Lesen, nicht mehr bei schlechtem Wetter raus müssen etc. In unserer Nähe gibt es eine Ausbildungsstätte für Friseure und Köche. Die von den Koch-Azubis hergestellten Mahlzeiten werden kostengünstig verkauft. Also kann Dagmar quasi 3 Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie geht mindestens einmal täglich raus, kommt mit Menschen zusammen und hat auch noch ein frisch gekochtes Mittagessen. Außerdem ergibt sich ein netter Kontakt zu einer Frau aus der Nachbarschaft, die sich gerne dem Sonntagsspaziergang anschließt. Alles perfekt!
Doch dann entwickelt sich einiges anders als erwartet. Die Küche schließt dauerhaft, der Kontakt zur Bekannten endet nach einem unschönen Vorfall. Die Wohnung ist viel zu leer und sauber. Der Tag hat viel zu viele Stunden. Der Yoga-Kurs bereitet mehr Bauchweh als Freude. Lesen und Rumgammeln machen keinen Spaß, wenn man keine Alternative hat. Sie vermisst die täglichen Spaziergänge - sogar die bei Regen, die Gespräche mit den anderen Hundeleuten. Kurz und gut: Der über Jahre gewohnte Tagesablauf bricht weg, Frust, Langeweile und Einsamkeit machen sich breit und die Sehnsucht nach einem Hund wird immer stärker. Etwa 3-4 Monate nach Timos Tod fängt sie an zu suchen, zuerst nur zögerlich und sporadisch, dann immer intensiver. Und wird schließlich fündig bei
22.10. 2023
Irgendwann stößt sie bei ihrer Suche auf dieses Bild von Prissy in Ungarn. Es ist, als würde sie in die Augen von Bonnie schauen! Prissy wird als klein, ruhig und nett beschrieben. Sie liebt es gemütlich und bequem, mag die Aufmerksamkeit der Menschen. Genau so eine Begleiterin wünscht sich Dagmar.
Prissy - nun LILLY - ist 25 cm klein, 6 kg leicht, ca. 07/2015 geboren. Sie hat einen leichten Unterbiss, es fehlen einige Zähne. Anfang August 2023 wird sie von netten Menschen im Regen gefunden und ins Tierheim gebracht. Über ihre Vorgeschichte ist natürlich nichts bekannt. Hatte sie ein Zuhause? Ist sie weggelaufen? Wurde sie ausgesetzt? Wie lange war sie schon unterwegs?
Leider fällt der Test auf Herzwürmer und Babesia canis positiv aus. Was vermuten lässt, dass sie als alter, kranker Hund nicht mehr gewollt war. Die Behandlung wurde in Ungarn bereits begonnen und wird hier fortgesetzt.
Nach einer langen Reise mit einmal Umsteigen kommt Lilly um 4 Uhr nachts in ihrem neuen Zuhause an. Erstmal eine Runde um den Block zum Beinevertreten - sie läuft an der Leine, als hätte sie nie etwas anderes getan. Die Eingangstür erkennt sie schon am nächsten Tag wieder - kluges Mädchen!
Erstaunlich: Sie ist Menschen gegenüber sehr aufgeschlossen und zugetan, für einen Hund aus dem Tierschutz eher ungewöhnlich. Anderen Hunden gegenüber ist sie abwartend und freundlich, zeigt aber sehr deutlich, wenn es ihr zuviel wird. Dann wird geknurrt und die kleinen Zähne gefletscht.
Am Mittwoch, dem 25.10., geht's zum Vorstellungstermin bei der Tierärztin. Diese ist mit Lillys Allgemeinzustand sehr zufrieden, vermutet ebenfalls, dass sie schon mal ein Zuhause hatte. Ihre Bemerkung zum Abschied: "Sie beide passen wunderbar zusammen."
4 Wochen später
Dagmar und Lilly haben inzwischen ihren Tagesrhythmus gefunden. Alles klappt prima. Nur das Alleinbleiben gefällt Lilly so gar nicht. Sie regt sich furchtbar auf und jammert. Zum Glück ist ihre Stimme nicht so kräftig, dass die ganze Nachbarschaft ihr Gequietsche hört. Natürlich wird die Alleinsein-Zeit so kurz wie möglich gehalten, aber manchmal muss es eben sein.
Lilly ist definitiv jagdbegeistert. In der Wohnung klebt sie Dagmar an den Fersen, aber draußen sind Eichhörnchen, Vögel und Mauselöcher viel interessanter. Da wird sie schon mal zum quietschenden Erdhörnchen und will unbedingt hinterher. Aber: Abgesehen davon, dass sie keine Beute machen soll - wegen der Herzwürmer könnte Rennen und Toben für sie lebensbedrohlich werden. Deshalb hat Dagmar die Leine zur Sicherheit an einem Gürtel befestigt; falls sie ihr aus der Hand fallen sollte...
Ist Lilly eventuell bei einer solchen Eskapade ihren früheren Leuten verloren gegangen? Möglich, aber haben sie auch nach ihr gesucht? Fragen, auf die es keine Antworten gibt.
Silvester 2023
Schon seit Tagen ist Lilly im Dauerstress wegen der Böllerei. Der bisher fröhliche Clown verkriecht sich zitternd unter dem Schreibtisch, im Bad, sogar in der Garderobe zwischen den Schuhen. Bisher gern gelaufene Gassiwege sind plötzlich so gruselig, dass sie sich weigert weiterzugehen und nach Hause getragen werden muss. Eine anstrengende Situation.
Am Silvestertag ist nach der 18-Uhr-Runde nichts mehr möglich. Die Spätrunde muss ausfallen und Lilly bis zum nächsten Morgen durchhalten. Es wird eine lange Nacht vor dem Fernseher, um den Lärm zu übertönen; gelingt leider nur unzureichend.
März/April 2024
Die Angst vor der Silvester-Böllerei ist überstanden und Lilly hat sich sehr gut eingelebt. Nun kennt sie alle Gassiwege, die sie auch mit Eifer und Freude abläuft. Unterwegs möchte sie am liebsten jeden umarmen, der uns begegnet und zaubert mit ihrem Charme allen ein Lächeln ins Gesicht.
Kommen ihr fremde Hunde zu nah, knurrt sie und zeigt die kleinen Zähne. Da springt auch schon mal ein großer, weißer Schäferhund mit allen Vieren gleichzeitig auf Seite. Die menschlichen Begleiter dagegen werden freundlich und nachhaltig begrüßt.
In den ersten Monaten glichen die Spaziergänge eher einem ziellosen Geradeaus-Rennen, bei dem Dagmar oft Mühe hatte, Schritt zu halten. Inzwischen hat sich das Tempo reduziert und Lilly nimmt sich die Zeit zum Erschnüffeln und Betrachten der Umgebung.
Seit Monaten regnet es quasi dauerhaft. Auch wenn Dagmar in der hundelosen Zeit sogar die Spaziergänge im Regen vermisst hat - so viele müssen es doch nicht sein. Sie hat Lilly versprochen, dass es hier auch schönes Wetter geben wird - irgendwann.
Das Alleinbleiben klappt schon viel besser. In der Wohnung hat sie sich mehrere "Höhlen" eingerichtet. Am liebsten liegt sie in der Garderobe zwischen den Schuhen; zu Dagmars Leidwesen auch nachts zum Schlafen.
Spanese oder Pekniel?
Im Inserat des Tierheims wird Lilly als Spaniel(Mischling?) beschrieben; was durchaus ihre jagdlichen Ambitionen erklärt. In ihrem kompakten Körperbau, Unterbiss und Verhalten ist aber auch der Pekinese erkennbar. Allerdings zum Glück mit normaler Schnauze. Vielleicht ist sie ja eine gelungene Mischung aus beidem? Spielt letztlich auch gar keine Rolle - Hauptsache, es passt.